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Mittelbayerische Zeitung: Ziemlich beste Schwestern
In der Union rächt sich, dass schwerste Konflikte vor der Wahl nur zugekleistert, aber nicht gelöst wurden. Leitartikel von Reinhard Zweigler

Regensburg (ots)

Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte, sagt der Volksmund. Doch diese Weisheit trifft in der jetzigen, sozusagen eingefrorenen deutschen Nachwahlphase nur bedingt zu. Dass die Spitzen der beiden christlichen Schwesterparteien auch nach mehrstündiger Debatte und Rahmgeschnetzeltem keinen gemeinsamen Fahrplan für die anstehenden Koalitionsgespräche finden konnten, lähmt das Land, schwächt Deutschlands Rolle in Europa und der Welt, sorgt für Unsicherheit bei den Verbündeten. In der Union rächt sich jetzt, dass schwerste Konflikte vor der Wahl nur zugekleistert, aber nicht ausdiskutiert und gelöst wurden. Dieser Zwist der ziemlich besten Schwestern ist zugleich eine schwere Hypothek für ein mögliches Jamaika-Bündnis. So richtig frohlocken kann vermutlich nur die rechtspopulistische Schein-Alternative für Deutschland. Mit knapp 13 Prozent der Wählerstimmen ausgestattet, jagt sie die Union mit Radikalforderungen zur Flüchtlings- und Asylpolitik vor sich her. Und es ist vor allem pure Verzweiflung, dass der angeschlagene Horst Seehofer nun sein Heil und das der CSU im Schließen der "rechten Flanke" sieht, was immer er genau damit meinen mag. Die "Obergrenze" für die Aufnahme von Flüchtlingen hat Seehofer wie eine Monstranz vor der CSU hergetragen und in den Bayernplan zur Bundestagswahl geschrieben. Dass er sich in dieser symbolträchtigen Frage jedoch nicht gegen Merkel hat durchsetzen können, dürften ihm viele treue CSU-Wähler übel genommen haben. Sie vertrauten nicht Seehofers vagen Ankündigungen, sondern wählten am 24. September gleich den Fundamentalprotest der AfD. Die Gauland-Partei will möglichst überhaupt keine Kriegsflüchtlinge aufnehmen, das individuelle Asylrecht schleifen. Zudem schürt sie pauschal Ängste vor Muslimen und vor Überfremdung. Wie Seehofer diesen Rechtsradikalen, die inzwischen auch im Bundestag sitzen, mit einem Rechtsruck in der Union beikommen will, bleibt sein Geheimnis. Dabei gibt es eine Obergrenze in der Praxis doch längst. Seit die Balkanroute für Kriegsflüchtlinge aus dem Irak und Syrien nahezu geschlossen ist, ebbte der große Zustrom weitgehend ab. Angela Merkel hat, nachdem Ende 2015 monatelang Flüchtlinge unkontrolliert ins Land gelassen wurden, längst eine 180-Grad-Wende hingelegt. Kontrollen wurden wieder eingeführt, das völlig überforderte Bundesamt für Flüchtlinge entscheidet schneller. Integrationsmaßnahmen für diejenigen, die eine Bleibeperspektive haben, tragen allmählich Früchte. Bei allen Problemen, die es damit vor Ort gibt. Menschen, die dagegen nicht in Deutschland bleiben können, wird die freiwillige Rückkehr schmackhaft gemacht. Und es gibt Rückführungen in die Heimatländer, wenngleich die heftig umstritten und nicht genug sind und zudem nicht immer die richtigen treffen. Doch die Aufgaben einer künftigen deutschen Regierung sind viel umfassender. Es geht nicht nur um das brisante Thema Flüchtlinge und Integration, sondern um grundlegenden Weichenstellungen für die Zukunft, in der Wirtschaft, der Digitalisierung, in der Sozial- und Rentenpolitik, der inneren Sicherheit. Sträflich vernachlässigt wird derzeit auch Europa. Während Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron ein Feuerwerk an Ideen zur Reform der EU zündet - nicht jede davon ist sinnvoll und in deutschem Interesse -, herrscht bei der seit zwölf Jahren Deutschland regierenden Union auf diesem Feld sträfliche Funkstille. Man kann nur hoffen, dass CDU und CSU ihren bizarren Streit endlich beilegen. Und die CSU das Fingerhakeln zur Verhinderung der Seehofer-Nachfolge durch Markus Söder gleich mit. Es geht derzeit wirklich um größere Beträge als das Wohl und Wehe der Christsozialen und ihre Aussichten auf die Landtagswahl im nächsten Jahr. Übernehmt endlich wieder Verantwortung!

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