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Mittelbayerische Zeitung: Völlig neue Töne
Selbst den Kapitalisten ist der Kapitalismus nicht mehr geheuer. Dafür gibt es triftige Gründe.

Regensburg (ots)

Von den Schweizer Bergen drangen in den vergangenen Tagen völlig neue Töne ins Tal hinunter: Wie jedes Jahr tagte der Gipfel der Geldelite im Schweizer Nobelort Davos. Doch diesmal drehten die Superreichen nicht wie sonst nur Pirouetten um sich selbst. Es klingt unerhört: Den Wirtschaftsbossen ist die Globalisierung nicht mehr geheuer. Die Kapitalisten stellen den Kapitalismus infrage - zumindest die schlimmsten Auswüchse. Pünktlich zum Auftakt des Weltwirtschaftsforums sorgte eine Umfrage unter Topmanagern für Furore. Mit Blick auf die Kluft zwischen Arm und Reich äußerte fast jeder Zweite Zweifel am positiven Einfluss der Globalisierung. Entscheidend wird nun sein, ob das Ganze in Debatten versandet, oder ob daraus ein Weckruf wird. Eine Vermögensstudie der Entwicklungsorganisation Oxfam gießt Öl ins Feuer. Demnach besitzen die acht reichsten Menschen der Welt - allesamt Männer - zusammen mehr Geld, als die gesamte ärmere Hälfte der Menschheit. Selbst wenn nur 90 Prozent der Studie zutreffen, hätte die Welt eine soziale Unwucht wie zu schlimmsten Zeiten des Feudalismus. Da horchen nicht nur die Unterprivilegierten auf. Auch der Geldadel sorgt sich, wie lange das gutgehen kann. Wir leben in unsicheren Zeiten. Das liegt zum Teil an den vielen neuen politischen Unwägbarkeiten. Noch weiß niemand, ob der Dealmaker Donald Trump tatsächlich Handelskriege vom Zaun bricht und inwieweit sich die USA abschotten werden. Gleichzeitig hängt nach dem Brexit über Europa ein permanentes Damoklesschwert des politischen Zerfalls. Den vielen politischen Risiken zum Trotz: Die größte Bedrohung für den Wohlstand geht von ganz realen Konfliktherden vor unserer Haustüre aus. Kriegsgefahren, Terror, Klimawandel, Umweltzerstörung, Armut, Hunger, Flucht und Vertreibung. Diese komplexen Probleme lassen sich von einzelnen staatlichen Akteuren genauso wenig lösen wie von einem Superreichen, der plötzlich Milliarden spendet. Diese Herkulesaufgabe fordert die gesamte Weltgemeinschaft. Anstatt einer konzertierten multinationalen Aktion erleben wir allerdings etwas ganz anderes. Der neue US-Präsident will Mauern bauen, um die armen Schlucker auszusperren. Gleichzeitig macht sich in Europa der Nationalismus breit. Denn viele, die sich als Globalisierungsverlierer sehen, bescheren den rechtspopulistischen Parteien regen Zulauf. Die soziale Ungleichheit schürt die Unzufriedenheit. Bis in die Mittelschicht schleicht sich die Sorge ein, dass der eigene Wohlstand in Gefahr gerät. Es sind Sparer, die keine Zinsen mehr bekommen, Arbeitnehmer, denen bei der Aussicht auf Mini-Renten Angst und Bange wird und diejenigen, an denen der Konjunkturaufschwung völlig vorbeigegangen ist. Noch haben die Regierungen eine Chance, dem etwas entgegenzusetzen. Die Menschen brauchen Perspektiven. Das gilt für die sogenannte verlorene Generation in Südeuropa genauso wie für Langzeitarbeitslose in Mecklenburg-Vorpommern oder moderne Lohnsklaven, die man überall in der EU findet. Die Staatenlenker müssen den Leuten das Gefühl geben, dass es wenigstens halbwegs gerecht zugeht. Sie dürfen nicht länger zusehen, dass sich Multis und Milliardäre als größte Steuervermeider hervortun und sich aus der Verantwortung stehlen. Das oberste eine Prozent kommt seinen Verpflichtungen nicht nach, sagte US-Vizepräsident Joe Biden bei seinem Abschiedsauftritt in Davos. Er forderte dazu auf, ein gerechteres Wirtschaftssystem zu schaffen. Auch das sind überraschend neue politische Töne aus einem der Mutterländer des Erzkapitalismus. Hoffentlich verhallen sie nach der Vereidigung Trumps nicht im Wind.

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