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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zu Erdogan/Türkei: Und der Westen schweigt von Reinhard Zweigler

Regensburg (ots)

Als kleiner Junge aus einer zugezogenen georgischen Familie musste sich Recep Tayyip Erdogan auf den Straßen im Istanbuler Hafenviertel durchsetzen. Es galt das Gesetz des Stärkeren. Ich oder Du. Freund oder Feind. Dieses Schwarz-Weiß-Denken hat Erdogan für sein Leben geprägt. Er boxte sich durch, machte politisch Karriere, überwand Rückschläge, selbst eine Haft konnte ihn nicht aufhalten. Er ist etwa das, was die Amerikaner bewundernd als Selfmademan bezeichnen. Als Bürgermeister von Istanbul agierte er pragmatisch, wirtschaftsfreundlich - und zugleich islamisch-fundamentalistisch. Wenn es seinen Zielen entsprach, trennte er sich zuweilen im Handumdrehen von politischen Weggefährten oder Vorbildern. So von seinem einstigen Förderer, dem religiös-konservativen Necmettin Erbakan oder erst vor ein paar Jahren vom gleichfalls konservativ-religiösen Prediger Fethullah Gülen, den er nun kurzerhand zum obersten Drahtzieher des gescheiterten Militärputsches erklärte. Als Staatspräsident schickte er den halbwegs liberalen Regierungschef Ahmet Davutoglu in die Wüste, weil der zu europafreundlich war, das Parlament stärken wollte und Vorbehalte gegen Erdogans Kurs auf präsidiale Alleinherrschaft geltend machte. Mit dem Ausnahmezustand, weiterhin stattfindenden brutalen "Säuberungen" in der Armee, im Staatsapparat, in Polizei, Justiz, an Hochschulen, Schulen und in den Medien sowie religiös verbrämter Propaganda will Erdogan eine Präsidialdiktatur in der Türkei errichten, seine Präsidialdiktatur. Mit Rechtsstaatlichkeit hat das alles nichts zu tun, sondern vielmehr mit Rache, Machterhalt und -zementierung. An die Stelle wirklicher oder auch nur vermeintlicher politischer Gegner lässt Erdogan AKP-Gefolgsleute installieren. Opposition, auch nur kritisches Hinterfragen, etwa von Intellektuellen, ist per se verdächtig, wird als nicht wahrhaft türkisch gebrandmarkt. Doch so treibt der Präsident nicht nur kritische Geister, Wissenschaftler, Intellektuelle außer Landes oder in die innere Emigration, er sorgt auch für ein Klima von einerseits Hurra-Patriotismus und andererseits Angst, Duckmäusertum sowie Denunziation. Erdogan geht mit Brachialgewalt daran, der Demokratie in der Türkei die Luft abzudrücken. In der Wahl der Mittel war und ist Erdogan dabei nicht zimperlich. Unterstützt von aufgepeitschten AKP-Anhängern auf den Straßen will er auch die Todesstrafe wieder einführen, die erst vor zwölf Jahren abgeschafft worden war. Seinerzeit auch um die beginnenden EU-Beitrittsverhandlungen zu ermöglichen. Nach dem stümperhaften Militärputsch, der nur von einem kleinen Teil von Offizieren und Armee getragen wurde, nimmt sich Erdogan nun das Mittel des Ausnahmezustands, um noch unerbittlicher gegen Gegner vorgehen zu können. Scheinheilig verteidigt der Präsident die Maßnahmen mit dem Blick nach Frankreich, wo nach den Attentaten ebenfalls Ausnahmezustand gilt. Der gravierende Unterschied ist allerdings, dass diese Maßnahme in Frankreich dem Schutz von Demokratie, der Sicherheit der Menschen vor Anschlägen dient. In der Türkei dient der Ausnahmezustand dagegen der Unterhöhlung der Demokratie, der willkürlichen Verfolgung von Erdogan-Gegnern, der Gleichschaltung der Medien. Spätestens an dieser Stelle müsste der Westen - von Berlin über Brüssel bis Washington - Erdogan eigentlich die rote Karte zeigen, ihm unmissverständlich klarmachen, dass ein Rückfall in eine Diktatur keinesfalls toleriert werden wird. Doch leider katzbuckeln Obama, Merkel, Hollande oder Juncker, weil sie Erdogan als strategischen Nato-Partner brauchen oder in der Flüchtlingskrise auf ihn angewiesen sind. Klare Zeichen, wie das von Fußballprofi Mario Gomez, sind von westlichen Regierungen leider nicht zu erwarten. Erdogan weiß das.

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