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Mittelbayerische Zeitung: Europas große Chance
Flüchtlinge können den Kontinent bereichern. Wie das geht, zeigt ein Blick in die deutsche Geschichte. Leitartikel von Sebastian Heinrich

Regensburg (ots)

Ganz Bayern und ganz Oberösterreich sind 2014 geflüchtet. Alle Menschen zwischen Aschaffenburg und dem Dachsteingebirge haben zwischen Neujahr und Silvester ihre Koffer gepackt und sind geflohen - weil sie hungern müssen, weil Bomben in ihrer Nachbarschaft einschlagen, weil Polizei oder Milizen sie verfolgen, foltern, verstümmeln, ihre Freunde und Verwandte töten. Das ist nicht das Drehbuch eines Katastrophenfilms. Das ist heute die Dimension von Flucht und Vertreibung auf dieser Welt. Knapp 14 Millionen Menschen haben im vergangenen Jahr ihre Heimat verlassen, 60 Millionen sind auf der Flucht - so viele Menschen wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Ihnen ist der heutige Weltflüchtlingstag gewidmet. Viele dieser Menschen treibt es nach Europa, etliche darunter nach Deutschland. Und nichts spricht dafür, dass sich daran bald etwas ändert. Die Politik in der Europäischen Union, der selbsternannten Heimat des Menschenrechts, muss zu dieser Tatsache endlich stehen. Sie darf ihren Bürgern nicht weiter die Illusion verkaufen, die Tragödie der Flucht sei eine "Flüchtlingswelle" oder ein "Flüchtlingsstrom", den man mit einer großen Mauer aufhalten könne. Die Politik muss aufhören, Flüchtende zu kriminalisieren - was tausende von ihnen in den Tod vor Europas Küsten treibt - und die Flucht aus Krieg und Elend endlich legalisieren und organisieren. Das muss einhergehen mit einer Erkenntnis: dass Flüchtlinge Europa bereichern können. Diese Chance weiter zu verkennen, ist nicht nur inhuman. Es ist auch wirtschaftlich schwachsinnig. 11,3 Milliarden Euro hat die EU seit 2000 für die Rückführung von Flüchtlingen in ihre Heimatländer ausgegeben, weitere 1,6 Milliarden für den Schutz der Außengrenzen. Mit dem Erfolg, dass die Massenflucht nach Europa ungebremst weitergeht. Weil das Grauen in der Heimat für die allermeisten viel abschreckender ist als Stacheldraht und die mörderischen Tiefen des Mittelmeers. Die Milliarden für die Abschottung wären viel besser angelegt in Projekten, die endlich zusammenbringen, was zusammengehört. Auf der einen Seite hunderttausende, ganz überwiegend hochmotivierte und oft gut ausgebildete Menschen - auf der anderen Seite ein Kontinent, in dem vielerorts Firmen keine Arbeitskräfte mehr finden. In dem immer weniger Junge die Rente von immer mehr Alten erwirtschaften müssen - und in denen ganze Landstriche veröden, weil es Millionen in die Metropolen zieht. Wie die Lösung aussehen könnte, zeigt die Stadt Utica im Nordosten der USA, die gezielt Flüchtlinge angeworben und sich so vor dem Niedergang gerettet hat; oder ostdeutsche Dörfer, die polnische Einwanderer vor dem Verfall bewahren. Richtig ist natürlich auch: Kurzfristig kostet die Aufnahme von Asylbewerbern Geld. Aber erstens würde ohne radikale Abschottung viel gespart. Und zweitens hat es Deutschland schon einmal deutlich mehr gekostet, Massen von Flüchtlingen aufzunehmen. Das Land war vom Krieg zerstört, Millionen hungerten, als diese Menschen einwanderten. Vielen von ihnen begegnete unterschwelliger oder offener Hass, oft lebten sie in Baracken oder Flüchtlingslagern am Rande der Städte. Sie hatten alles verloren, waren oft schwer traumatisiert - und ihre Begegnung mit den Einheimischen war von Kulturschocks geprägt. Das war Deutschland im Jahr 1945. Und wenige Jahre später trugen diese Menschen - Sudetendeutsche, Schlesier und Ostpreußen - großen Anteil am Wirtschaftswunder. Auch ihnen ist der Weltflüchtlingstag gewidmet. Und diese Menschen sieht heute niemand mehr als "Flüchtlingsstrom". Sondern nur noch als Bereicherung.

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