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Aachener Nachrichten: Bitte keine Panik - Nach den jüngsten Anschlägen grassiert in Deutschland die Angst; ein Kommentar von Joachim Zinsen

Aachen (ots)

Nizza, Würzburg, München, Ansbach - die Motive der Täter waren unterschiedlich. Nur eines ist ihren Taten gemein: Sie haben die Angst in Teilen der Bevölkerung weiter verstärkt. Viele Menschen sind angesichts der Verbrechen verunsichert. Natürlich ist das nachvollziehbar. Doch anders als einige Leitartikler bereits plakativ behaupten, durchleben wir in Europa keineswegs ein so noch nie dagewesenes "Zeitalter des Terrors". Die Welt ist keineswegs völlig aus den Fugen geraten. Früher - vor den Flüchtlingen und bevor es in Europa offene Grenzen gab - war keineswegs alles besser und vor allem sicherer. Verfallen wir also nicht in einen Hysterie-Modus. Greifen wir nicht aus lauter Hilfslosigkeit zu Kollektivschuldthesen und einfachen Erklärungsmustern. Selbstverständlich müssen Politik, Medien und Gesellschaft auf Ängste und Panikattacken reagieren. Sie sollten es auf rationale Weise tun. Beispielsweise mit dem Hinweis, dass es schon viel schlimmere Zeiten gegeben hat. Schauen wir zurück in die 70er und 80er Jahre. Damals forderte der Terror in Westeuropa deutlich mehr Opfer als heute. Neben linksextremistischen Morden an Repräsentanten des Staates gab es zahllose Anschläge, die sich wahllos gegen "Normalbürger" richteten. Etwa das rechtsextreme Blutbad in Bologna, die Terrorserie der IRA oder das Lockerbie-Attentat mit 270 Toten. Und doch war die allgemeine Verunsicherung um einiges geringer als heute. Vielleicht lag es daran, dass damals Attentate noch nicht in medialen Endlosschleifen solch eine Wucht und Omnipräsenz wie heute entwickeln konnten. Vielleicht lag es daran, dass die Medienlandschaft noch nicht so boulevardesk war und es kein Internet gab, in dem mit wilden Bedrohungsszenarien die Stimmung weiter angeheizt wird. Vielleicht lag es aber auch daran, dass die damalige Gesellschaft deutlich weniger von sozialen Abstiegs- und Existenzängsten geprägt war, auf die sich Terrorängste draufsatteln konnten. Jedenfalls war fast allen klar, dass die Wahrscheinlichkeit, bei einem Verkehrsunfall ums Leben zu kommen, um ein vielfaches höher ist, als bei Anschlägen zu sterben. Natürlich sind solche Erkenntnisse kein Trost für die Opfer eines Attentats. Aber sie könnten uns vor politischen Kurzschlussreaktionen bewahren. Dazu gehört, nicht wieder reflexartig nach neuen Gesetzen zu rufen. Mag sein, dass die bestehenden an der einen oder anderen Stelle nachjustiert werden müssen. Doch prinzipiell sind die Sicherheitskräfte gut aufgestellt. Wer anderes behauptet und nach dem Einsatz der Bundeswehr im Inneren ruft, verstärkt die Angst. Angst aber essen Seele auf - auch und gerade die einer offenen, pluralen und humanen Gesellschaft. Wenn wir sie nicht aufgeben wollen, müssen wir mit unserer Angst ein Stück weit leben, sie aushalten. Das mag hilflos klingen. Doch wenn sich Angst zur Panik steigert, trägt sie immer auch den Keim des Autoritären in sich. Dass diese Saat anfangen könnte zu wachsen, ist vielleicht die größte Gefahr, die unserer Gesellschaft droht.

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